08. April 2024
Wie können Mitarbeitende in der Pflege rechtzeitig erkennen, dass sich Gewalt anbahnt oder dass übergriffiges Verhalten droht? Und: Wie können sie sich davor schützen? Diese Frage stellte sich für die AGAPLESION MARKUS DIAKONIE auch im Rahmen ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Die Lösung: Die Beschäftigten im präventiven Umgang mit Gewalt und übergriffigem Verhalten schulen und sie dadurch vor Gewalt schützen. Dabei geht es um physische, verbale und sexualisierte Gewalt, denen die Mitarbeitenden im Berufsalltag begegnen. In Zusammenarbeit mit dem Institut ProDeMa® wurden nun elf Deeskalationstrainer:innen dafür ausgebildet und gleichzeitig darin geschult, die erlernten Methoden an Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln. Damit wurde der Grundstein für ein professionelles Deeskalationsmanagement gelegt.
Die Ausbildung zum Deeskalationstrainer:in stützt sich auf folgende Säulen:
Konflikte verstehen – Grenzen aufzeigen
Damit ein Konflikt erst gar nicht entsteht, ist es wichtig, ein Verständnis für dessen mögliche emotionale, situative und medizinische Ursachen zu entwickeln. Dazu gehört auch, sich in den/die Bewohner:in oder Angehörigen hineinzuversetzen und die jeweilige Sichtweise nachzuvollziehen. Für den Fall, dass ein Konflikt dennoch eskaliert, werden die Teilnehmenden auch im Umgang mit verbalen Deeskalationstechniken und den ALFI-Techniken geschult. Klare akustische Signale mit Anweisungen wie: „Stopp!“ oder „Halt!“ helfen bereits oft, eine kritische Situation zu unterbrechen. Kann ein Übergriff mittels verbaler Deeskalationstechniken nicht verhindert werden, lernen die Teilnehmenden ausgewählte ALFI-Techniken anzuwenden. So nehmen sie bestimmte Körperhaltungen ein, die die akustischen Signale unterstützen. Beispielsweise strecken sie einen Arm aus und halten die Handfläche auf Augenhöhe des Gegenübers, um dessen Sichtfeld einzuschränken (siehe Foto). Ziel der Techniken ist es, Verletzungen bei der beteiligten Person und sich selbst zu vermeiden und stattdessen eine Möglichkeit zu schaffen, sich Hilfe zu holen. Weiterhin geht es darum, den Bewohner:innen und Angehörigen Grenzen aufzuzeigen. Verletzungsfreie Abwehrtechniken, etwa das verletzungsfreie Lösen aus einer Umklammerung des Handgelenks, sind vor allem wichtig, da die Menschen, mit denen gearbeitet wird, mitunter hochaltrig und gebrechlich sind.
"Gewaltprävention in der Pflege unterstützt die Sicherheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden sowie der Bewohnerinnen und Bewohner in den Einrichtungen. Mithilfe der Deeskalationstechniken können die Pflegekräfte in kritischen Situationen ruhig und kontrolliert reagieren. Es entsteht auf allen Seiten weniger Stress, was sich zugleich positiv auf die Arbeitsqualität in der Pflege auswirken kann. Damit trägt das Projekt dazu bei, die Arbeitsqualität der Mitarbeitenden zu unterstützen und eine hochwertige Versorgung der Pflegebedürftigen zu erbringen. Das ist der TK ein wichtiges Anliegen bei der Förderung solcher Projekte“, sagt Dr. Barbara Voß, Leiterin der TK-Landesvertretung Hessen.
Selbsterfahrung steht im Vordergrund
In der Ausbildung steht das Lernen durch Selbsterfahrung im Vordergrund. Übungen und Rollenspiele vermitteln ein Gefühl für Konfliktsituationen und führen zu Handlungssicherheit bei den Teilnehmenden. Die Aufzeichnung der Übungen und Rollenspiele ermöglicht, das eigene Verhalten zu analysieren und sich dazu auszutauschen. Für Markus Wymetalik, selbst Teilnehmer und Qualitätsmanagementbeauftragter der AGAPLESION MARKUS DIAKONIE, sind die aufgezeichneten Rollenspiele ein großer Mehrwert. „Es ist entscheidend für die Reflexion des eigenen Handelns und den Lernprozess, zu sehen, wie man unbewusst in einer Konfliktsituation reagiert und welche Signale man aussendet.“ Auch, dass in der Ausbildung die verschiedensten Berufsgruppen vertreten sind, ist für Markus Wymetalik ein relevanter Faktor. „Unser Ziel ist es, das Deeskalationsmanagement auf allen Ebenen und in allen operativen Strukturen zu leben. Dafür ist es wichtig, Führungskräfte, Pflegefachkräfte, Referent:innen, Mitarbeitende der sozialen Betreuung und Pflegehilfskräfte zusammen auszubilden.“
Deeskalation nachhaltig gestalten
Damit das Deeskalationsmanagement auch nachhaltig im Unternehmen wirkt, wurde ein Konzept zur Schulung weiterer Mitarbeitender erarbeitet. Die Schulungen erfolgen in Gruppen von mindestens sechs bis maximal zwölf Personen. An jeweils zwei aufeinanderfolgenden Tagen lernen die Teilnehmenden die geschilderten Inhalte des Deeskalationsmanagements. Mehrmals pro Jahr finden die sogenannten Wiederholungs-, Auffrischungs- und Vertiefungsmodule statt. Diese dienen dazu, bereits erlerntes Wissen und die Präventionstechniken zu festigen.
Ein weiterer Bestandteil des Deeskalationsmanagementkonzepts besteht darin, Konflikte nicht nur präventiv zu bewältigen, sondern auch retrospektiv aufzuarbeiten. Hierfür wurden Leitfäden aufgesetzt, wie vorzugehen ist, wenn ein Übergriff beobachtet wird. Zudem stehen Deeskalationstrainer:innen für die kollegiale Erstberatung bereit. Kollegiale Erstberatung bedeutet vor allem, für die betroffene Person da zu sein und eine Schutzatmosphäre zu schaffen. Das Tempo der Aufarbeitung wird durch die betroffene Person bestimmt. Ein Leitfaden, der Vorgehensweise und potenziell weitere Ansprechpersonen definiert, gibt den Erstberater:innen die notwendige Sicherheit.
„Der richtige und präventive Umgang mit Gewalt ist ein wichtiges Thema und neben den bestehenden Themen des gesunden Führens, des gesunden Dienstplans, Teamentwicklung und betrieblicher Gesundheitsförderung - ein weiterer wichtiger Baustein im BGM der AGAPLESION MARKUS DIAKONIE“, so Hannelore Rexroth, Geschäftsführerin der AGAPLESION MARKUS DIAKONIE.